Tatjana Kuschtewskaja | Sonntagsgeschichte
Aus dem Ukrainischen
Ich
erinnere
mich
noch
an
meinen
ersten
jakutischen
Winter.
Eines
Nachts
erwachte
ich
von
einem
seltsamen,
leisen
Klopfen
am
Fenster.
Ich
sah
hinaus.
draußen
war
niemand.
Draußen
stürmte
es,
und
es
herrschte
klirrender
Frost.
Doch
wieder
das
Klopfen
am
Fenster,
noch
einmal
und
noch
einmal.Dann
hörte
es
auf.
Am
nächsten
Morgen,
als
mir
dieses
seltsame
Klopfen
wieder
einfiel,
ging
ich
hinaus,
um
nachzusehen,
ob
der
nächtliche
Gast
im
Schnee
vielleicht Spuren hinterlassen habe.
Spuren
gab
es
keine.
Doch
da
entdeckte
ich
einen
mit
Schnee
bestäubten
toten
Vogel.
Er
war
groß
wie
ein
Rabe
und
lag
da
mit
ausgebreiteten
Flügeln,
als
sei
er
im
Flug
vom
Tod
überrascht
worden.
Mit
einmal
wurde
mir
klar,
dass
er
es
gewesen
war,
der
geklopft
hatte.
Er
hatte
geklopft
und
um
Hilfe
gebeten.
Was
hätte
es
mir
ausgemacht,
die
Luftklappe
zu
öffnen
und
ihn
hereinzulassen.
Aber ich habe es nicht getan.
Dieses
Schuldgefühl
hat
mich
lange
verfolgt.
Seitdem
öffne
ich
beim
ersten
Klopfen immer Tür und Fenster. Es könnte ja jemandem schlecht gehen.
Meine
Generation
zog
es
in
den
Norden,
in
die
Wüste,
in
die
Taiga,
um
dem
von
oben
gelenkten
eintönigen
Leben
mit
seinen
Losungen
und
seiner
Gleich
-
förmigkeit
zu
entfliehen.
Die
meisten
meiner
Freunde
wandten
sich
der
Geologie,
der
Forstwirtschaft
und
ähnlichem
zu,
wenn
nur
der
Beruf
mit
Vagabundieren
und Schlafen am Lagerfeuer verbunden war.
Was
wusste
ich
über
das
ferne
Jakutien,
in
dem
ich
mich
zur
Arbeit
als
Lehrerin
verpflichtet
hatte?
Dass
es
so
groß
ist
wie
Europa
und
dass
nur
alle
drei
Kilometer
ein
Mensch
lebt.
Vor
vierhundert
Jahren
hatte
der
Kosak
Jermak es mit seiner Streitmacht für Russland erobert.
Unter
den
Flugzeugflügeln
zogen
die
sibirischen
Ströme
Ob
und
Irtysch
vorbei,
und
plötzlich
rief
die
junge
Jakutin,
die
neben
mir
im
Sessel
saß:
"Sehen
Sie
mal da! Das Bratsker Wasserkraftwerk!"
Und
wirklich,
zwischen
den
Wolken
öffnete
sich
uns
unten
das
überwältigende
Panorama
des
Stausees,
von
dem
begeisternd
in
den
Zeitungen
geschrieben
wurde
und
das
der
jungen
Jakutin
ihren
Begeisterungsruf
entlockt
hatte.
Beim
Bau
der
sibirischen
Staubecken
wurden
Landstriche
überschwemmt,
die
größer
waren
als
große
europäische
Staaten.
Die
sibirischen
Ströme
sollten
nach
Süden
gelenkt
werden
zur
Bewässerung
der
Wüsten.
Die
junge
Jakutin,
die
in
Moskau
studierte,
bebte
innerlich
vor
Glück,
beim
Anblick
ihrer
Heimat,
die nun auch einer glücklichen Zukunft entgegenging.
Eines
Tages
stieß
ich
beim
Preiselbeersuchen
in
der
Taiga
auf
eine
winzige
Hütte.
Auf
das
Bellen
des
Hundes
trat
eine
Frau
heraus.
Es
war
eine
Jakutin
mittleren
Alters,
klein,
dunkelhäutig.
Ich
ging
auf
sie
zu.
Da
begann
sie
auf
einmal
durchdringend
zu
schreien
und
mit
den
Armen
zu
fuchteln:
"Komm nicht näher",
schrie sie, "geh schnell weg! Geh! Geh!"
Später
erfuhr
ich,
dass
sie
nun
schon
einige
Jahre
einsam
in
der
Taiga
lebte.
Mit
zwei
Jägern
hatte
sie
vor
vielen
Jahren
im
Spätherbst
ans
andere
Ufer
der
Lena
übersetzen
wollen.
Das
Boot
aber
kenterte,
und
die
beiden
Männer
ertranken.
Die
Frau
überlebte,
denn
sie
trug
ein
Kleidungsstück
aus
Biberfellen,
das
die
tödliche
Kälte
eine
Zeit
lang
abhielt.
Sie
konnte
im
eiskalten
Wasser
überleben,
bis
ein
zufällig
vorbeikommendes
Motorboot
mit
Geodäten sie aufnahm.
Als
sie
aber
nach
Hause
zurückkam,
wollte
ihr
niemand
die
Rettung
glauben.
Vergeblich
beteuerten
die
ansässigen
Russen,
daß
die
Frau
ein
lebendiger
Mensch sei und daß man sie nicht fürchten müsse.
"Nein",
riefen
die
Einheimischen,
"sie
ist
tot.
Was
wir
hier
sehen
ist
ein
böser
Geist,
der
ihre
Gestalt
angenommen
hat.
Sie
selbst
ist
mit
den
anderen
in
derLena umgekommen."
Mit
Steinen
trieben
sie
die
Frau
aus
der
Siedlung.
Alle
beteiligten
sich
daran,
dieNachbarn
und
sogar
der
Ehemann.
Aber
vielleicht
hatte
der
längst
eine
andere Frau im Kopf.
Sonderbar
war,
dass
sie
nicht
verzweifelte.
Still
und
ergeben
fügte
sie
sich
in
der
ihr
zugewiesenen
Rolle,
kein
lebendiger
Mensch
zu
sein.
"Der
böse
Geist!
Der
böse
Geist!"
schrieen
die
Kinder,
wenn
sie
vor
Hunger
entkräftet
am
Dorfrand
auftauchte,
und
ergeben
entfernte
sie
sich.
Da
begriff
ich,
dass
bei
allem
äußeren
Anschein
von
Zivilisation
Denkweise
und
Weltanschauung
der
Jakutensich nicht geändert hatten.
Die
Zivilisation
hatte
ihnen
Motorboote
und
Motorsägen
gebracht,
Syphilis
und
Wodka,
die
Ideologien
des
Betrügens
und
der
Heuchelei.
Ihre
Glaubensgrundlage
aber
war
die
alte
geblieben:
die
Verehrung
der
heiligen
Steine,
der
Glaube
an
Geister,
die
Beschwörungsrituale,
die
Tradition
des
Geschichtenerzählens
und
ihre
Auffassung
von
Ethik.
Während
meiner
acht
langen
Jahre
als
Lehrerin
in
Jakutien
besuchte
ich
Wintersiedlungen
und
Nomadenlager, viele weitab vonBahnlinien, Flusshäfen und Flugplätzen.
Ich
habe
unter
Jakuten,
Nenzen
und
Selkupen
gelebt,
unter
Dolganen,
Nganasanen,
Ewenken,
Jukagiren
und
Ewenen,
unmitten
der
vielgestaltigen
Welt
der
nördlichen
Völker,
die
sich
in
den
Jahren
der
Sowjetmacht
mehr
und
mehr
ihrer
Mutter-sprache
und
ihrer
Sitten
und
Gebräuche
zu
schämen
begannen. Dies sei, so sagte man ihnen, rückständig und primitiv.
Die
Kinder
von
Jägern,
Fischern
und
Rentierzüchtern
hörten
auf,
ihren
traditionellen
Gewerben
nachzugehen
und
strebten
fort
aus
den
angestammten
Gebieten,
wo
sich,
wie
es
schien,
Dreck,
Armut
und
Armseligkeit für immer niedergelassen hatten.
Lensk
hieß
das
Städtchen,
in
dem
ich
mich
ansiedelte.
Man
pries
es
als
das
Tor
zum
Land
der
Diamanten.
Den
ganzen
Sommer
über
wurden
auf
der
Lena
Frachtgüter
in
die
nahe
gelegenen
Diamantgruben
Mirnyj,
Aichal
und
Udatschnoje
in
unserer
kleinen
Hafenstadt
umgeschlagen.
Geräte
und
Ausrüstungen,
Baumaterial
und
Lebensmittel,
wurden
auf
dem
Wasserweg
von
Lensk
aus
zu
den
Diamantgruben
transportiert,
alles
vom
Nagel
bis
zum
Traktor, jedes Körnchen Salz.
Und
hier
in
den
jakutischen
Schulen
sollte
ich
den
Kindern
Singen
und
Musizieren
beibringen.
Eines
Tages
geschah
ein
Unglück.
Wir
sollten
in
eine
kleine
jakutische
Siedlung
am
Ufer
der
Lena
fahren,
um
dort
mit
unserer
Gesangsgruppe
aufzutreten.
Aber
ich
hatte
mich
verspätet,
weil
ich
den
Talisman
nicht
finden
konnte,
den
mir
ein
Schamane
geschenkt
hatte:
Den
Splitter
eines
Mammutzahns.
Ich
konnte
ihn
nicht
finden,
und
als
ich
hinab
zum Ufer rannte, war das Motorboot weg.
Am
nächsten
Morgen
hörten
wir,
dass
das
Boot
spät
abends
mit
einem
Lastkahn
zusammengestoßen
und
untergegangen
war.
Niemand
hatte
sich
retten
können.
Ich
glaube,
ich
bin
ein
bisschen
verdreht,
wenn
ich
mir
vorstelle,
dass
mein
Talisman
mir
das
Leben
gerettet
hat,
von
dem
der
Schamane
mir
gesagt
hatte:
"Nimm
ihn.
Ich
weiß,
du
glaubst
nicht
daran,
aber
er wird dir Glück bringen."
Der
Archipel
Gulag
prägte
unser
Leben
im
Norden.
Die
Stadt,
in
der
ich
lebte,
war
von
einem
Ring
von
Lagern
umgeben.
Merkwürdigerweise
verließen
viele
ehemalige
Häftlinge
nach
ihrer
Entlassung
nicht
den
Norden.
Sie
blieben
dort,
als
hielten
die
Gräber
der
unschuldig
Ermordeten
sie
fest.
In
fast
jedem
Haus
fand man einen ehemaligen, meist politischen Häftling.
Da
war
Sergej
Golowin,
der
Bildende
Künstler
aus
Petersburg.
Schon
sein
Großvater
war
Maler
gewesen,
der
Decken
und
Wände
in
den
Villen
des
Petersburger
Adels
bemalt
hatte.
Verheiratet
gewesen
war
er
mit
einer
schönen
Aristokratin.
Zusammen
mit
ihr
und
den
Nachkommen
wurde
die
Familie
nach
Jakutien
in
die
Verbannung
geschickt,
ins
Gefängnis
ohne
Mauern.
Als
Künstler
war
er
tot,
lange
bevor
er
sich
dem
Trunk
ergab
und
starb.
Zum
Trinker
wurde
auch
Michail
Teterin,
der
Direktor
der
Musikschule,
ein
ehrlicher,
gewissenhafter
Mann,
der
einmal
sagte:
"Dieses
Leben
wird
dich
solange
niederdrücken,
bis
du
ganz
am
Boden
liegst."
Auch
er
war
nicht
weggegangen
nach
Verbüßung
seiner
Strafe.
Und
eines
Tages
hieß
es,
er
habe
sich
erschossen.
Mich
hat
das
Leben
in
Jakutien
nicht
kleingekriegt.
Im
Gegenteil. Mich hat es erhoben.
Ich
erinnere
mich
noch
gut
des
Augenblicks,
kann
sogar
den
Tag
nennen,
als
sich
in
mir
"die
Seele
öffnete".
Das
geschah
in
einem
Taiganest
mit
Namen
Tschuraptscha.
Die
langen
Finger
des
alten,
blinden
Schamanen
berührten
meine
Schulter,
dann
tasteten
sie
sich
zu
meinem
Kopf
hoch,
ertasteten
die
Wangen,
die
Ohren,
die
Nase,
die
Augenhöhlen,
das
Kinn,
als
wolle
er
etwas
erfühlen und es sich einprägen.
Seine
langsame
Redeweise
war
so
weich
und
bildreich,
als
würde
er
aus
dem
Gedächtnis
bewusst
die
ausdrucksvollsten
und
genauesten
Worte
herausschälen.
Ich
lauschte,
Jakutien
ging
gleichsam
in
mich
ein
und
schmiegte
sich
an
mein
Herz.
Damals
hat
sich
in
mir
etwas
für
mein
ganzes
Leben
entschieden.
Obwohl
ich
seine
Sprache
nicht
verstand,
begann
ich
die
Worte,
die
wie
Kinderklappern
rasselten,
und
in
denen
Erlittenes
mitklang,
zu
erkennen.
Die
Runzeln
in
dem
nussbraunen
Gesicht
des
alten
Schamanen
zitterten,
als
er
mir
zum
Abschied
seine
Prophezeiungen
zuflüsterte.
Jahre
sind
vergangen
seitdem, und alle seine Weissagungen haben sich erfüllt.
Vielleicht
lege
ich
mir
mein
späteres
Leben
so
zurecht,
dass
es
in
die
Orakelssprüche
des
Alten
passt,
kann
schon
sein.
Aber
ich
habe
wirklich
bei
minus
fünfzig
Grad
Kälte
eine
Tochter
geboren,
und
in
jener
Nacht
ist
mein
Haar
am
Kopfkissen
festgefroren,
weil
die
Fensterscheiben
in
der
Kälte
zersprangen
und
sich
Eisklumpen
in
der
Entbindungsstation
bis
in
den
letzten
Winkel bildeten.
Ich
habe
wirklich
ganze
acht
Jahre
durchgehalten
in
Jakutien
und
in
dieser
Zeit
jakutischen
Kindern
Musikstunden
gegeben:
Sie
spielten
Tschaikowski,
Beethoven
und
Grieg.
Sie
brachten
mir
ihrerseits
bei,
wie
man
sich
verhält,
wenn
man
einem
umherirrenden
Bären
begegnet.
Wie
man
Rentiere
anspannt
und
wie
man
auf
dem
Chomus
spielt,
ohne
dass
einem
die
Lippen
wehtun,
einem
Musikinstrument
wie
unsere
Maultrommel,
dessen
Gabel
man
zwischen
die
Zähne
nimmt
und
dabei
ein
stählernes
Zünglein
zupft,
bis
Töne
in den verschiedensten Stimmlagen von überirdischem Klang ertönen.
Und
dann
hatte
mir
der
Schamane
noch
vorhergesagt,
dass
achtzehn
Jahre
nach
der
Geburt
meiner
Tochter
der
reichste
und
einflussreichste
Mann
Japans ihr zu Ehren einen Empfang geben werde.
"Was
für
eine
Tochter,
mein
Gott!"
rief
ich
belustigt,
und
während
ich
mir
die
kältestarren
Finger
rieb
und
versuchte,
es
mir
auf
dem
am
Boden
liegenden
Rentierfell
ein
wenig
bequemer
zu
machen,
dachte
ich
voller
Wehmut:
Was
für
Phantasterei!
"Mit
wem
wohl
sollte
ich
hier
eine
Tochter
haben?
Und
Japan?
Herr im Himmel! Etwas kleiner geht’s wohl nicht?"
"Deine
Tochter",
sagte
der
Schamane
leise
als
überlege
er
und
überprüfe
letztmalig
das
eben
Gesagte,
"deine
Tochter,
ja,
und
Japan,
das
stimmt."
Doch
auch
das
erfüllte
sich.
1991,
als
meine
Tochter
Jana
achtzehn
Jahre
alt
wurde,
fuhr
sie,
zusammen
mit
anderen
jungen
Künstlern,
auf
Einladung
des
Mäzenaten
Sasakawa
nach
Japan
und
überreichte
dem
Präsidenten
Tosiki
Kaifu ein Aquarell als Geschenk.
"Welch
wunderbare
und
schöne
Farben
hat
der
russische
Schnee",
sagte
der
Präsident,
als
er
die
Arbeit
betrachtete.
Es
war
jakutischer
Schnee.
Es
war
ein
Bild
aus
der
Erinnerung
gemalt.
Ein
seltsames
Gefühl
der
Verlassenheit
lösten
die
einsamen,
niedrigen
Polarbirken
in
der
Tiefe
des
Bildes
aus.
Etwas
Tragisches
lag
in
den
Windungen
der
glatten,
weißen,
fast
zwerghaften
Stämmchen.
Ihre
Umrisse
schufen
Charaktere
und
riefen
Gedanken
an
Menschen
und
Schicksale
wach.
"Du
wirst
tausend
Leben
leben
und
durch
tausend Länder reisen", hatte mir der Schamane prophezeit.
Wahrscheinlich
hielt
er
für
jeden
einen
Spruch
dieser
Art
bereit.
Doch
tatsächlich
habe
ich
nach
meinen
acht
jakutischen
Jahren
als
Lehrerin
den
Norden
und
den
Osten
bereist,
den
Süden
und
den
Westen.
Überall
in
Russland
sitzen
Menschen
und
können
die
Zeugnisse
meines
Umherwanderns
betrachten,
die
in
Hunderten
von
Filmkopien
vervielfältigt
vorliegen,
woran
damals,
als
ich
mich
frierend
auf
dem
Rentierfell
des
Schamanen
zum
ihm
umwandte, nicht zu denken war.
Ich
habe
mit
Selbstmördern
und
Zauberern
gesprochen,
mit
Mönchen,
Landstreichern,
Piloten
und
Bauern.
Um
das
Leben
eines
Häftlings
verstehen
zu lernen, lebte ich im Gefängnis und hörte mir Hundert Bekenntnisse an.
Saß
im
Sajangebirge
tagelang
im
Sattel.
Badete
in
tungusischen
Eisquellen
und
zahlte
dafür
mit
Fieber
und
Schüttelfrost.
Flog
in
Überschallflugzeugen
des
Militärs.
Streifte
mit
Dorfhexen
durch
die
dunklen
Wälder
von
Wologda.
Schritt
über
Aussätzige
hinweg,
die
auf
den
Trottoiren
von
Kairo
lagen,
während
lange
glänzende
Wagen
der
Marke
Mercedes
über
den
Asphalt
jagten und an der Ampel bei Rot neben einem Kamel anhielten ...
"Zwanzig
Jahre
lang
müssen
Sie
schweigen
und
dürfen
niemand
von
dem
erzählen,
was
ich
Ihnen
gesagt
und
was
Sie
hier
gesehen
haben,
sonst
wirkt
die
Prophezeiung
nicht
und
die
Geheilten
werden
sterben",
hatte
der
Schamane gesagt, als ich mich von ihm verabschiedete.
Die
Zeit
ist
jetzt
um
und
ich
kann
erzählen,
dass
ich
gesehen
habe,
wie
bei
einer
schweren
Geburt
der
Schamane
eine
Axt
mit
der
Schneide
nach
unten
über
den
Lagerfellen
der
Wöchnerin
hängte.
In
Versen
rang
er
mit
den
Geistern,
um
zu
erfahren,
warum
die
Frau
so
leiden
müsse
und
welches
Opfer
verlangt werde.
Ich
habe
den
Kampf
des
Schamanen
mit
den
Geistern
miterlebt,
die
verlangten,
die
Wöchnerin
selbst
sollte
das
Opfer
sein.
Und
als
es
ihm
gelang,
ihnen
dieses
Opfer
zu
entreißen,
verlangten
sie
von
ihm,
er
solle
ihnen
einen
anderen
Menschen
als
Opfer
anbieten.
Ich
habe
gesehen,
wie
es
ihm
schließlich gelang, den Geistern ihre Macht zu nehmen.
Ich
habe
es
gesehen,
und
ich
hasse
mich
deswegen.
Ich
hasse
mich,
dass
ich
nicht aufgesprungen bin, um einen Arzt aus der Kreisstadt zu holen.
Ich
habe
gesehen,
wie
danach
ein
gesunder
Knabe
geboren
wurde,
den
man
in
eine
Schaukel
legte,
deren
Boden
mit
dem
Bauchfell
junger
Rentiere
ausgelegt
war
und
mit
Holzmulm
zum
Aufsaugen
der
Feuchtigkleit.
Die
Decke
war
nach
altem
Brauch
aus
einem
Schwanenbalg
gearbeitet,
die
Wangen
des
Knaben
wurden
mit
dem
Blut
eines
Schneeadlers
eingerieben
und
sein
Nabel
wurde
mit Pulver aus Holzkohle bestreut.
Ich
habe
gesehen,
wie
ein
todkrankes
Kind
zum
Schamanen
gebracht
wurde.
Jammernd
redete
die
Mutter
auf
den
alten
Mann
ein,
bis
er
ihr
befahl
zu
schweigen.
Lange
betrachtete
der
Schamane
das
leidende
kleine
Bündel,
als
versuche
er,
sich
auf
etwas
zu
besinnen.
Ich
konnte
nicht
erkennen,
ob
es
ein
Junge
war
oder
ein
Mädchen.
Lange
dauerte
die
Stille,
die
nur
unterbrochen
wurde durch das Stöhnen aus den Fellen.
Dann
sagte
der
Schamane,
ja,
er
sehe
eine
Möglichkeit,
das
Kind
zu
retten.
Ob
die
Mutter
bereit
wäre,
mit
ihm
die
Heilungssitzung
durchzustehen,
die
zwei
Tage
dauern
würde.
Man
müsse
dazu
aber
weit
weg
fahren,
am
besten
in
ein
abgelegenes Rentierlager.
Mit
dem
Kind
auf
dem
Schlitten
machten
wir
uns
auf
den
Weg.
Es
atmete
röchelnd
und
hatte
offenbar
hohes
Fieber.
Sein
Gesicht
glühte
und
immer
wieder
verlangte
es
zu
trinken.
Ich
war
wütend,
wütend
auf
mich,
dass
ich
es
nicht
fertig
gebracht
hatte,
das
Kind
dem
alten,
blinden
Mann
zu
entreißen
und es in der Kreisklinik unterzubringen.
In
dem
Häuschen,
in
das
der
Schamane
uns
brachte,
brannte
der
Ofen.
Es
war
warm.
Eine
junge
Frau
wohnte
dort,
die
dem
Schamanen
nun
als
Helferin
diente.
Das
Kind
wurde
ausgezogen
und
auf
ein
Lager
aus
Wolfsfellen
gelegt,
die der Alte tastend aus einem Stapel Plunder herausgesucht hatte.
"Es
wird
jetzt
einschlafen
und
zwei
Tage
lang
bewusstlos
liegen
blieben",
sagte
er.
"Ich
werde
die
ganze
Zeit
neben
ihm
wachen.
Dabei
darf
ich
nicht
einschlafen.
Indem
sich
unsere
Seelen
miteinander
vereinen,
würde
er
sterben,
schliefe
auch
ich.
Ihr
anderen
habt
aufzupassen,
dass
keine
lauten
Geräusche
entstehen. Sie würden den sofortigen Tod des Kindes zur Folge haben
Plötzlich
schrie
er
unnatürlich
laut
auf
und
während
er
mit
gespreizten
Händen
vor
dem
Gesicht
des
Kindes
seltsame,
beschwörende
Bewegungen
machte, begann er unverständliche Worte zu murmeln.
Mir
kam
es
vor
wie
Hokuspokus,
aber
ich
konnte
mich
nicht
des
Eindrucks
erwehren,
dass
sich
allmählich
nicht
nur
der
Raum
veränderte,
sondern
auch
die
Gestalt
des
Alten,
seine
Stimme,
sein
Gesicht.
Seine
toten
Augen
schienen
zu
funkeln.
Heute,
wenn
ich
mich
daran
erinnere,
glaube
ich
an
eine
Sinnestäuschung,
hervorgerufen
durch
Übermüdung,
durch
die
immer
niedriger
brennende
Petroleumlampe,
durch
den
Rauch
im
Raum,
durch
das
Röcheln
des
Kindes,
durch
das
Gewimmer
der
Mutter,
durch
den
Klang
der
Zaubersprüche des Alten.
Tatsächlich
wachte
mit
starrem
Blick
ins
Grenzenlose
der
Alte
zwei
ganze
Tage
neben
dem
kranken
Kind.
Das
einzige,
was
er
zu
sich
nahm,
war
ein
Aufguss
aus
Wurzeln
und
Kräutern,
den
die
Helferin
ihm
an
die
Lippen
hielt.
Von
Zeit
zu
Zeit
wedelte
sie
ihm
mit
der
Sehne
einer
Wolfspfote,
die
sie
vorher
über dem Feuer geweiht hatte, vor der Nase.
Spät
am
Abend
des
zweiten
Tages
erhob
sich
der
Schamane.
Die
Helferin
reichte
im
den
Chomus,
und
er
vertiefte
sich
in
eine
Melodie
aus
leisen,
gedehnten,
schwermütigen
Tönen,
die
mir
wie
kosmische
Musik
vorkam.
Plötzlich
ertönte
ein
Pfiff,
ich
begriff
nicht,
woher
er
kam,
und
ein
Windstoß
schien
durchs
Zimmer
zu
gehen.
"Nun
ist
der
Geist
erschienen",
flüsterte
mir
die Helferin zu, "und der Geist beginnt zu sprechen."
„In
einer
mir
unverständlichen
Sprache,
die
aber
nicht
das
Jakutische
war,
entstand
ein
Geraune.
In
dem
von
Rauch
durchzogenen
Zimmer,
in
dem
die
Lampe
nur
noch
einen
schwachen
Schein
abgab,
war
nicht
zu
unterscheiden,
woher
die
Stimme
kam.
Der
Alte
antwortete
der
Stimme.
Die
Mutter
wurde
aufgefordert,
ihr
Kind
in
den
Arm
zu
nehmen
und
mit
ihm
durch
das
Zimmer
zu gehen, immer im Kreis ...
Das
habe
ich
gesehen.
Aber
ich
weiß
heute
nicht
mehr,
was
daran
Einbildung
war,
was
wirkliches
Geschehen.
Das
Kind
wurde
gesund.
Die
Mutter
belohnte
den
Schamanen
mit
Geschenken.
Zwei
schwarze
Zobelfelle
waren
darunter,
die
kostbarsten,
die
es
gibt.
Nur
der
Zar
und
seine
Familie
hatten
früher
Felle
dieser Art tragen dürfen.
Mit
den
Jahren
verschwanden
auch
meine
Gewissensbisse,
dass
ich
diesen
Hokuspokus
zugelassen
und
mich
sogar
an
ihm
beteiligt
hatte.
Ich
beruhigte
mich
mit
dem
Gedanken,
dass
am
Ende
immerhin
alles
gut
ausgegangen
war.
Dass
er
mich,
die
Ukrainerin,
die
Westliche,
daran
hatte
teilnehmen
lassen,
habe
ich
mir
als
eine
Art
von
Public
Relation
zu
erklären
versucht.
Wen,
wenn
nicht
eine
junge
gutgläubige
Lehrerin
aus
der
Taiga
ohne
Welterfahrung,
könnte er mit seinen Ritualen beeindrucken.
Zum
Abschied
schenkte
er
mir
den
Splitter
eines
Mammutknochens
und
ermahnte
mich,
zwanzig
Jahre
das,
was
ich
gesehen
und
gehört
habe,
nicht
weiterzuerzählen.
"Und
schreiben
dürfen
Sie
in
dieser
Zeit
auch
nichts
darüber",
sagte
er.
Ich
weiß
noch,
dass
ich
innerlich
auflachte
bei
dem
Gedanken.
"Aber
nein",
rief
ich,
"haben
Sie
keine
Angst.
Ich
kenne
niemand,
dem
ich
schreiben
könnte."
"Sie
werden
schreiben",
sagte
er
leise
und
wandte
sich ab, "sie werden schreiben."