Literatur | Gogolev

Ivan    Gogolev-Kyndyl wurde am 18. Januar 1930 in Vilü als Sohn einer Lehrerfamilie geboren. Er besuchte 1954 das renommierte Moskauer Gorki-Institut für Literatur und arbeitete danach für einige Jahre als Redakteur des Jakutischen Buch- verlages. Dann ging er als Lehrer für jakutische Sprache und Literatur an eine dörfliche Schule für junge Erwachsene.
Sein     erstes     Gedicht wurde 1948 gedruckt. Als noch der Sozialistische Realismus kaum andere literarische Strömungen neben sich dulden wollte, erschien dieser junge Mann aus dem fernen Norden auf der Szene und machte Jakutien und seinen schier unerschöpflichen Schatz   an   Mythen   und   Legenden zu seinem Thema.
Seine Helden bewegen sich in den Glaubens-     und     Moralvorstellungen des kleinen Volkes, dessen Schicksal über die Jahrhunderte hinweg ihn zu rastloser literarischer Tätigkeit an- treibt. Neben Gedichten schreibt er Romane,   Lieder   und   Theaterstücke, Kinderbücher    und    Libretti. Mehr als fünfzig Titel liegen in russischer, jakutischer und anderen Sprachen vor.
Die von ihm geschaffenen Lieder hielten Einzug in die jakutische Populärkultur; seine Romane wie Der Sonnenanbeter und Der    schwarze Vogel wurden Allgemeingut.
Immer stellt Gogolev die Frage, wie in einer sich ändernden      Welt Traditionen    überleben    können , wie man von anderen Kulturen lernen und an ihren Errungenschaften teilhaben kann ohne sich selbst zu verlieren. Für sein Schaffen wurde er unter anderem als Nationaler   Dichter Jakutiens geehrt. Ivan Gogolev starb am 22. November 1998. Er wurde unter großer öffentlicher Anteilnahme mit einem Staatsakt zu Grabe getragen.
Das   dritte   Auge ist die letzte Arbeit, die er vollenden konnte. In dem Roman-Poem breitet er gleichsam noch einmal die Quintessenz seiner jahr- zehntelangen Beschäftigung mit dem Schicksal der Sacha aus. Der Bogen wird gespannt vom mythischen Auszug auf der Suche nach dem Gelobten Land über den Zivilisationsbruch in der Begegnung mit den Ankömmlingen aus einer fremden Welt bis zu den Tragödien der Stalinzeit. Dreimal wird seine Heldin Kyrasa geboren, dreimal wird sie sterben, es ist Zyklus   einer   schamanischen Initiation, der ihrer Seele ein ewiges Leben gib.
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Das dritte Auge Das Leben einer Seele [...] Der Weiße Schamane aber kniete am Feuer und senkte den grauen Kopf, er blickte in die züngelnden Flammen, wiegte sich und sang: Ich kann es sehen! Hinter den schweren Wolken, die sich aufbäumen wie die dichte Mähne eines wilden sechjährigen Hengstes, erheben sich finstere Berge, und hinter ihren steilen Hängen erstrecken sich finstere Berge, erstreckt sich ein weites Tal im Morgennebel. Das ist die große Tujmaada, die hochverehrte Herrin. Unzählige Herden satter Kühe und schneller Pferde weiden dort friedlich und zufrieden, und inmitten dieses wonnigen Überflusses hat die heilige Birke ihre Zweige aufgespannt. Sie ist schön und stolz, ihr Rauschen ist erhaben. An ihren schneeweißen Stamm gelehnt steht die Geist-Herrin jenes Tales und schaut wachsam um sich. Oh, etwas bekümmert sie, etwas beunruhigt sie zutiefst, den bald, sehr bald werden neue Zeiten anbrechen: Unbekannte aus der Fremde werden erscheinen. Wer sind sie - Gesandte des Himmels oder Ankömmlinge aus der Unterwelt ? Ihre Augen sind tiefen Strudeln gleich, ihre Haare sind wie sengendes Feuer, von der Farbe der flammenden Abendsonne, des leuchtenden Sonnenaufgangs. Was ist das - das Ende oder ein Anfang? Oh, oh! Es kommt einer Zeit des Wandels, Eine Zeit des Erwachens! Oh, Oh!